Und plötzlich braucht die CDU das BSW (2024)

An diesem Sonntag wählen die Menschen in Sachsen und Thüringen neue Landtage. Was in früheren Jahren demokratischer Alltag war, könnte diesmal zu einem Triumph der AfD werden. Die letzte Partei der Mitte, die dagegen steht, ist die CDU. Doch sie könnte auf ungewohnte Hilfe angewiesen sein.

Wenn man Michael Kretschmer dieser Tage sieht, wirkt er vor allem: müde. Seit Wochen, seit Monaten, ja eigentlich seit Jahren ist der Ministerpräsident dabei, die Menschen in Sachsen vom "sächsischen Weg" zu überzeugen, wie er es nennt. Unzählige Termine überall in Sachsen, unzählige Gespräche mit Landräten, Feuerwehrleuten, Handwerkern und Arbeiterinnen - und das seit er 2017 das Amt antrat. Erklären, erklären, erklären, das ist seine Methode. Im Gespräch sein. Bloß nicht abgehoben wirken.

So hielt er es in der Flüchtlingsfrage, in der Corona-Pandemie. Ließ sich geduldig überall beschimpfen, selbst an seinem eigenen Gartenzaun. Bis Putin die Ukraine überfiel. Seitdem ist er so etwas wie die Stimme des Ostens geworden. Deutschlandweit ist er der einzige prominente CDU-Politiker, der der Ukraine weniger oder auch gar keine Waffen mehr liefern will und wieder russisches Gas beziehen möchte.

Doch das ist genau das, was Kretschmer im Land von vielen Menschen hört und das sonst kaum ein prominenter Politiker sagt - außer von der AfD und dem BSW. Hinter jeder vielleicht für westdeutsche Ohren befremdlichen Kretschmer-Äußerung stehen aber zehn Plädoyers für Demokratie und Rechtsstaat in Zwickau, Görlitz oder Chemnitz. Denn darum geht es an diesem Sonntag in Sachsen. Entscheiden sich die Menschen für Parteien der Mitte oder für die auch in Sachsen als "gesichert rechtsextrem" geltende AfD? Dafür verzeihen viele in der CDU Kretschmer seinen öffentlichen Widerspruch zur Parteilinie. "Beinfreiheit" nennen sie das bei der Bundes-CDU. Und hat er nicht als Landespolitiker ohnehin keinen besonderen Einfluss auf die Außenpolitik?

CDU in Sachsen knapp vor AfD

Politik 30.08.24

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Kretschmers Einsatz zahlt sich jedenfalls aus. Auch in der jüngsten Umfrage im Auftrag von RTL und ntv liegt seine CDU vorn. 33 Prozent würden sich noch einmal für die Partei entscheiden, die seit 1990 regiert. 31 Prozent der Befragten gaben an, ihr Kreuz bei der AfD machen zu wollen. Im Gegensatz zu den Rechtspopulisten hat Kretschmer Koalitionsoptionen. Laut besagter Umfrage haben SPD und Grüne gute Chancen, wieder in den Landtag einzuziehen - zwischendurch war das durchaus fraglich. Damit könnte es eine Neuauflage der Kenia-Koalition geben, also Schwarz-Rot-Grün.

Allein, Kretschmer lässt keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass er nicht mehr mit den Grünen regieren will. Im Interview mit ntv.de rief er stattdessen dazu auf, "strategisch" zu wählen. Wer eigentlich SPD und Grünen zugetan ist, soll diesmal lieber CDU wählen. So oder so ist klar: Wer ohne die Grünen auskommen möchte, braucht eine Alternative. Die Alternative, die sich selbst so nennt, scheidet für die CDU aus. Kretschmer zeigt sich dabei ebenso entschlossen wie bei den Grünen oder Linken. Was, nebenbei bemerkt, bei Weitem nicht alle CDU-Wähler zwischen Bautzen und Plauen so sehen.

Die tatsächliche Alternative könnte das Bündnis Sahra Wagenknecht sein. Ausgerechnet das BSW, eine Abspaltung von der Linkspartei, geführt von der früheren Kommunistin Wagenknecht. Die auf eine neue Mischung setzt: ökonomisch links, gesellschaftspolitisch konservativ-autoritär. Konkret heißt das: für höhere Löhne, aber auch für Law and Order und konsequente Begrenzung der Zuwanderung. Erwartungsgemäß ist Wagenknecht genauso antiamerikanisch, wie sie es immer schon war. Kretschmer schließt nichts aus, hält sich aber sehr zurück. "Ich kenne diese Truppe nicht", sagte er ntv.de.

In Thüringen andere Verhältnisse

Im benachbarten Thüringen möchte Mario Voigt erst noch dahin kommen, wo Kretschmer schon ist. Der CDU-Landesvorsitzende will Nachfolger von Bodo Ramelow als Ministerpräsident werden. Der Linken-Politiker ist seit zehn Jahren im Amt. Die vergangenen fünf Jahre saß er - nach dem unsäglichen Interregnum des FDP-Politikers Thomas Kemmerich - einer Minderheitsregierung mit SPD und Grünen vor. Nicht einmal er selbst möchte eine Neuauflage dieses Bündnisses, wie er in der von ntv und Antenne Thüringen übertragenen Debatte der Spitzenkandidaten sagte. Auch SPD-Spitzenkandidat Georg Maier, seit sieben Jahren Innenminister, sagte ntv.de, das Land brauche eine Mehrheitsregierung. Maier würde gern von Rot-Rot-Grün gleich rüber zur CDU machen. Das mag opportunistisch wirken, aber das ist es nicht. Die SPD ist nun einmal anschlussfähig zur CDU und zur Linkspartei gleichermaßen.

Auch in Thüringen steht die AfD bei 30 Prozent und ist damit, aber anders als in Sachsen, unangefochten stärkste Kraft. Ihr Kopf ist Björn Höcke, der wohl prominenteste und gefürchtetste AfD-Politiker. Auch sein Landesverband gilt als "gesichert rechtsextrem". Er ist ein effektiver Redner, der Marktplätze füllen und in Wallung bringen kann. Doch als Ministerpräsident wünschen ihn sich nur 16 Prozent der Thüringer, wie die Forsa-Umfrage für ntv zeigt. Amtsinhaber Bodo Ramelow dagegen würden gern 44 Prozent behalten.

Davon kann die Linke kaum profitieren. Sie steht bei 14 Prozent und wird der nächsten Regierung aller Voraussicht nach nicht mehr angehören. Da niemand mit der AfD koalieren will, müssen die anderen Parteien eine Mehrheit zustande bringen. Dabei führt dann kein Weg an der CDU vorbei. In den Umfragen kommt sie derzeit auf 22 Prozent und wäre damit nach der AfD die stärkste Kraft. Da aber die CDU generell, in ganz Deutschland, Koalitionen mit AfD und Linken ausschließt, bleiben nur SPD, Grüne und BSW als Partner. Die Grünen könnten aber an der Fünfprozenthürde scheitern.

So müsste also auch Mario Voigt auf Schützenhilfe vom BSW hoffen. Immerhin, deren Spitzenkandidatin Katja Wolf tritt pragmatisch und problemorientiert auf. Als frühere Bürgermeisterin von Eisenach kennt sie die meisten Probleme aus der Nähe. Beide wissen, sie brauchen einander. Bei gegenseitigen Attacken halten sie den Ball flach.

Für die AfD geht es nicht nur um die Regierung

Was man allerdings nicht von Wagenknecht selbst sagen kann. Sie stellte lautstark Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der CDU. Das BSW werde nur in eine Landesregierung eintreten, die die Stationierung von US-Raketen in Deutschland ablehne, sagte sie vor drei Wochen. Was für die CDU unannehmbar wäre. Eigentlich lassen sich solche außenpolitischen Themen auf Landesebene gut ausklammern, schließlich werden diese Fragen ohnehin anderswo entschieden. Voigt sagte ntv.de: "Solange Sahra Wagenknecht aus dem Saarland heraus die Ansagen für Thüringen macht, haben wir mit dem BSW keine Gesprächsgrundlage. Ich setzte mich aber gern mit Frau Wolf an den Tisch, um über die Thüringer Themen und die Lösungen dafür zu diskutieren."

Einen AfD-Ministerpräsidenten wird es also voraussichtlich weder in Sachsen noch in Thüringen geben. Einfluss können die Rechtsextremen dennoch gewinnen - wenn sie ein Drittel der Sitze erreichen. Dann hätten sie in den Landtagen eine Sperrminorität bei Entscheidungen, für die eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig ist. Die gibt es nicht häufig, aber wenn doch, geht es um wichtige Fragen. Zweidrittel-Mehrheiten sind für Änderungen der Landesverfassung, für die Berufung des Landesrechnungshofes notwendig. Aber eben auch bei der Berufung von Landesverfassungsrichtern - dabei könnte die AfD ihr nicht genehme Kandidaten verhindern.

Sie könnte selbst der Sand im Getriebe werden, den sie so dringend braucht, um die Demokratie und ihre Institutionen weiter zu diskreditieren. Und wenn an ihr Regierungen vorbei gebildet werden, könnte sie wieder davon schwadronieren, sie seien die einzige Alternative zu den anderen Parteien. Wenn sie auch keine Regierungschance hat, Erfolge winken der AfD also dennoch.